Theo Sommer | Zeit meines Lebens. Erinnerungen eines Journalisten

Theo Sommer, eine der einflußreichsten journalistischen Stimmen (West)Deutschlands läßt das Jahrhundert Revue passieren.

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Ich bin wohl einer der Letzten jener Generation, die ihre Kindheit und Jugend in einer längst versunkenen Welt verbracht hat. Denn zum einen war es noch eine Biedermeier-Welt, zum anderen die braune Welt des Dritten Reichs. Wir wurden in eine Zeit hineingeboren, die mit jener von 1320 mehr Ähnlichkeiten hatte als mit der von 2020. Gewiss, es gab seit einem Jahrhundert die Eisenbahn, seit 1852 die Telegrafie, seit 1886 das Automobil, seit 1993 das motorisierte Flugzeug, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte auch die Schreibmaschine in den Büros Einzug gehalten. Aber ım alltäglichen Leben spielten all diese Neuerungen noch kaum eine Rolle. Leisten konnten sie sich nur wenige. Als ich geboren wurde, besaß kaum jemand ein Auto oder ein Telefon. Selbst elektrischer Strom war keineswegs Gemeingut; Gaslaternen und sogar Petroleumlampen waren noch häufig anzutreften. Die Box-Kamera der 1930er-Jahre lieferte pro Filmspule ganze zwölf quadratische Sechs-mal-sechs-Fotos. Ein Rundfunkgerät blieb unerschwinglicher Luxus, bis der »Volksempfänger« aus schwarzem Bakelit 1938 auf den Markt kam. Napoleon, Karl der Große, selbst Cäsar hätten sıch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts nach kurzer Einweisung zurechtgefunden. Heute würden sie wie Hänsel und Gretel im Wald ratlos durch das Dickicht der Moderne irren. 50 viel grundstürzenden Wandel in so kurzer Frist hatte keine vorangegangene Generation erfahren - und zu verkraften.

 

Quelle: Dieser Buchtipp stammt aus unserem SEKO Newsletter 7/23 mit Buch- und Rundfunktipps für literarisch Interessierte und Neuigkeiten rund um SEKO. Zur Anmeldung geht es hier.

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