Christine Wunnicke | Margherita Costa. Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht

»Der Sprit all ihrer Romane ist die Erotik des Unbekannten« stellt Katharina Teutsch [➚] einmal fest und das bringt es umstandslos auf den Punkt. Ganz ohne voyeuristischen Exotismus zieht Christine Wunnicke auch in ihrem neuen Buch ihre Leserinnen (und vielleicht auch ein paar Leser, wer weiß das schon?) in ihren Bann. Indem sie nicht nur den Lebensspuren der Margherita Costas erzählend, und, wo nötig, auffüllend folgt, sondern mit ihrem beträchtliches Können auch ausgewählte Texte, Briefe und Gedichte kongenial übersetzt, stellt sie so manches Bild, das die Literaturgeschichten vom 17. Jahrhundert entwerfen, mühelos vom Kopf auf die Füße. Besser kann man ein neues Lesejahr kaum starten.

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Ich lebte wechselvoll, auf tausend Arten,
nach meinem Willen, Gut und Schlecht vermengt.
Ich lebte frei, bis mich zwei Augen narrten,
die mich in Liebesfesseln eingeengt.
Ich sah die Tugend, ich sah Missetaten,
bald war ich glücklich, bald in Gram versenkt,
doch niemals führte ich ein stilles Leben;
nach froher Ruhe will ich fortan streben.

 
Allzu viel frohe Ruhe war Margherita Costa nicht vergönnt. Ob sie danach strebte, ist fraglich. Sie liebte die Selbstbetrachtung. Allerdings sollte man sich hüten, ihre Geständnisse und Pläne für bare Münze zu nehmen. Viele ihrer Gedichte folgen dem Schema »bisher tat ich dieses, in Zukunft will ich jenes tun«: »Ich will kein Lotterleben mehr führen, ich will meine Ruhe«; »ich will nicht mehr singen, ich werde Hausfrau«; »ich verabschiede mich von der Liebe, ich will fortan nur noch handarbeiten« (S.106); »ich will meinen irdischen Besitz loswerden, ich gehe nämlich ins Kloster« (S.332); »ich werde mich nicht mehr schönmachen, ich will nur noch dichten« (S.164); »ich hänge die Dichtkunst an den Nagel und werde in Zukunft beleidigt schweigen« (S.198). Keinen dieser Vorsätze hat sie je erfüllt. Oft sind zwei gegensätzliche Zukunftsvisionen im selben Buch abgedruckt. Nur einer Aussage widerspricht sie nie: Vissi a mia voglia – ich lebte nach meinem Willen.

Quelle: Dieser Buchtipp stammt aus unserem SEKO Newsletter 1/24 mit Buch- und Rundfunktipps für literarisch Interessierte und Neuigkeiten rund um SEKO. Zur Anmeldung geht es hier.