Robert Prosser | Verschwinden in Lawinen

Tina, die Nichte von Protagonist Xaver und ihr Freund Noah werden von einer Lawine verschüttet. Während Tina geborgen werden kann und schwer verletzt ins Krankenhaus kommt, bleibt Noah vermisst. Prosser lässt sich aber nicht auf den aus der Katastrophenberichterstattung bekannten Wettlauf mit der Zeit ein, sondern verwendet für sein Buch eine ganz andere Dramaturgie. Eigentlich geht es nämlich um den in der Gastronomie beschäftigten Möchtegernschauspieler Xaver, seine Stellung im Dorf, sein Verhältnis zu seiner Schwester, der mit einem Bauunternehmer verheirateten Tierärztin Marlen, die das Elternhaus übernommen und umgebaut hat, aber auch um seine Mutter Anna. Kompakt und fesselnd beflügeln sich die beiden Erzählebenen dieses sehr speziellen Heimatromans. — Robert Prosser, 1983 in Alpbach geboren und heute dort und in Wien lebend, begann in der Slam- und Performanceszene. Mit »Wolfsvieh«, einem Text über eine Schicksalsgemeinschaft ehemaliger Soldaten, gewann er 2010 den Literaturwettbewerb Floriana. Für seine "originelle und hochartifizielle Prosa" gewann er 2014 den Reinhard-Priessnitz-Preis. Mit seinem Roman "Phantome" über den Jugoslawienkrieg und dessen Fortwirken in der Gegenwart schaffte er es 2017 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis.

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Wenige Stunden waren seit der Lawine vergangen. Am Himmel kreiste ein Reiher, in flachen Strahlen fiel die Abendsonne durch Wolkenfetzen. Wind brachte Bewegung ins Tal: Schneewirbel, flirrendes Licht. Xaver wählte die Abkürzung über das Feld, machte kleine Sprünge. Wachsame Blicke, zwanzig Prozent Vogel. Laut dem Buch, das er gerade las, zählte zu den grundlegenden Übungen der Schauspielkunst, ein Tier mit der eigenen Persönlichkeit zu mischen, fünfzig Prozent, sechzig, derart gewöhne man sich die für eine Rolle nötige Achtsamkeit an. Der Reiher, eben durch die Luft gekreist, hüpfte nun einen Feldpfad entlang. Vielleicht half es, sich für die bevorstehende Messe als ein Tier zu imaginieren, das meist alleine blieb, still am Bach ausharrte; ein gleichmütiger Räuber. Das anfängliche Gerücht – oder vielmehr war es eine Beobachtung gewesen, ein Rettungshubschrauber zwischen zwei Gipfeln, das Rattern aus der Ferne kaum hörbar – hatte sich rasch bestätigt: An einer abgeschiedenen Flanke des Greits, dieses höchsten Berges, seien zwei Schifahrer verschüttet worden, Jugendliche aus dem Ort, und schließlich erreichte Xaver, der an diesem Tag an der Gondelstation arbeitete, die Nachricht, dass es sich um seine Nichte und deren Freund handle. Wie konnte man im freien Gelände nur so leichtsinnig sein, dachte er in hilflosem Ärger und ließ das Springen bleiben.

 

 

Quelle: Dieser Buchtipp stammt aus unserem SEKO Newsletter KW 10/2023 mit Buch- und Rundfunktipps für literarisch Interessierte und Neuigkeiten rund um SEKO. Zur Anmeldung geht es hier.

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